Zu Besuch bei polnischen Cowboys

Ein Gespräch mit Alexander Karschnia von andcompany&Co. über "West in Peace oder der letzte Sommer der Indianer".

Wie kommt man darauf, sich mit Cowboys in Polen zu beschäftigen?

Wir haben uns gefragt: Wie weit reicht der Westen heute? Wir wollten das Ei des Kolumbus auf den Kopf stellen und haben den Westen im Osten gesucht und gefunden und zwar in Polen. Polen ist heute tiefster Westen! Aber vielleicht muss man mittlerweile ebenso von einem "früheren Westen" sprechen wie man vom "früheren Osten" spricht. Es waren ja auch polnische Cowboys, die den Eisernen Vorhang zum Einsturz gebracht haben! "High Noon" war am 4. Juni 1989: In Peking rollten Panzer, in Polen Köpfe, als dort zum ersten Mal frei gewählt wurde. Seit letztem Sommer erinnert daran ein gigantischer Gary Cooper im Berliner Hauptbahnhof, in der Hand einen Wahlzettel statt des Colts, hinter ihm weht die Solidarnosc-Flagge. Das war das historische Wahlplakat und ist heute eine Ikone für den Sieg im Kalten Krieg. Das Ende des Kommunismus war jedoch gestern, heute trainieren nordamerikanische Indianer polnische Grenzschützer im Fährtenlesen, um die vereinigten Staaten von Europa gegen Schmuggler und Flüchtlinge abzusichern. Zu dieser Grenze sind wir gefahren, denn sie verläuft mitten durch den einzigen verbliebenen europäischen Urwald. Dort leben Bisons in freier Wildbahn: Tatanka!

Wie sieht ein Indianerdorf in Brandenburg aus?

Ob in "El Dorado" bei Templin oder "Mrongoville" bei Mragowo – man erlebt "Abenteuer wie im Film": Postkutschenraub und Schießereien auf offener Straße, Gefangenenbefreiung und die Blutsbrüderschaft zwischen einer Rothaut und einem Bleichgesicht. Wie das weit verbreitete Wild-West-Hobby in Ost und West beweist, waren Indianer ja schon immer sehr beliebt in Deutschland, egal ob sie von Pierre Brice oder Goijko Mitic verkörpert wurden. "Deutscher sein heißt Indianer sein" hat Heiner Müller einmal gesagt, nach der Wende galt das besonders für Ostdeutsche. Das gesamte Gebiet der Ex-DDR wurde zum El Dorado für Westler, heute denken Politiker offen darüber nach, aus weiten Teilen Brandenburgs einen Naturpark zu machen, in dem Bisons weiden und Wölfe aus der Lausitz ausgewildert werden. Blühende Landschaften, von denen sich die ostdeutschen Indianisten nie haben träumen lassen . Für uns gehören Saloon und Hippie-Tipi zusammen: Das eine ist ein heroisches Bild für die "Anarchie des Marktes", das andere eine romantische Vorstellung von der Rückkehr zur Natur. Während Karl May unser Bild des "edlen Wilden" prägte, hat Karl Marx den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern als Teil jener "ursprünglichen Akkumulation" gedeutet, die die Grundlagen für die moderne Welt gelegt hat. Uns hat die Hartnäckigkeit dieser Freiheitsfantasien interessiert, wobei polnische Cowboys und ostdeutsche Indianisten nur ein besonders ausgefallenes Beispiel sind. "Falsche Indianer" tauchen jedoch immer wieder in der Geschichte auf, nicht nur bei der Boston Tea Party, wo die Kolonisten den britischen Tee in die See gekippt haben. Solche Partys finden immer wieder statt, allerdings folgt daraus nicht immer die Gründung einer Republik. Oft handelt es sich einfach nur um die Vernichtung von Gütern zur Aufrechterhaltung eines Wirtschaftssystems, das sich angeblich ganz von selbst regelt, beziehungsweise durch eine unsichtbare Hand. Vielleicht ist ja dieses Wirtschaftssystem selbst auch nichts weiter als ein Western von gestern.

Und wie sieht Ihre Bühne aus? Was passiert in "West in Peace"?

Wir haben eine ungewöhnliche Westernkulisse aufgebaut: Wir campen auf der Bühne zwischen einem Friedhof, Saloon und AKW. Es wird um die Wette gezockt, bis ein Sturm alles verwüstet – wie in Bert Brechts Stadt Mahagonny. Western sind die Raubritterromane der Neuzeit: Während Don Quichotte nur noch eine komische Figur ist, sind Winnetou und Tecumseh jedoch wirklich tragische Gestalten. Freilich trifft Brechts Kritik am kannibalischen Genießen von tragischen Schicksalen Anderer im Theater besonders zu, wenn sich weiße Europäer in rote Heldenhäuptlinge einfühlen. Deswegen verhandeln wir neben dem Kapitalismus den Kannibalismus gleich mit: "Menschenfressermenschen" (Rio Reiser). Außer Karl May & Karl Marx und zahlreichen Spaghetti-, Baguette- und Sauerkraut-Western haben wir auch Material aus Chatrooms und Internetforen verarbeitet, in denen in Wild West Manier die brennenden Probleme unserer Zeit zur Sprache gebracht werden, das heißt die Frage, ob 20 Jahre nach dem Fall der Mauer nun auch das andere System hinüber ist. Ist das nun die Apokalypse oder einfach das Ende einer Party? Come and see!

Autor

Sonderseiten der Berliner Bühnen

Veröffentlicht

Berliner Zeitung, 2009-11-27