Revolutionärer Eiertanz

Frank Quilitzsch, TLZ Kultur, 2009-05-04

Eindrucksvolle Performance "Mausoleum Buffo" beim Jenaer Bauhaus- Festival

Lenin schläft, doch die Geister, die er einst rief und die sich seiner Ideen – auf welche Art auch immer – bemächtigten, führen vorm Mausoleum einen skurrilen Tanz auf: einen Eiertanz. "I´m the Walrus", grunzt zum Beatlessong das Führer-Ei mit dem unverkennbaren Stalinbart, während sich aus den anderen Eierköpfen nach und nach die Porträts von Trotzki, Marx, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Wladimir Putin herausschälen. Völker, hört die Signale: Josef Stalin mit dem goldenen Schnauzer und gewaltigen Walrosszähnen sitzt hellwach auf seinem Schaukelstühlchen und freut sich, dass alles nach seiner Pfeife tanzt.

"Mausoleum Buffo" hat die international besetzte Perfomergruppe "andcompany&Co." diese außergewöhnliche Produktion genannt, die am Sonnabend und Sonntag beim Jenaer Bauhaus-"Festival neue Szenografie" im Theaterhaus zu erleben war. Eine ästhetisch ausgereifte, spannungsgeladene, vor Ironie und Sarkasmus strotzende Inszenierung, die mit Elementen des Dada und des Konstruktivismus spielt. Die Bühne von Hila Flashkes und Co. gleicht einem von Glühbirnen illuminierten Raritätenkabinett mit seltsamen Apparaten links und rechts, einem auf dem russischen Buchstaben "Ja" (Ich) montierten Steuerpult in der Mitte und dem immer neue Geister ausspuckenden Mausoleum im Hintergrund. Geheimnisvoll klingelt ein Telefon, und über allem leuchtet der rote Sowjetstern.

Was ist, fragen die jungen Protagonisten, eigentlich aus "der Schießerei in Petrograd 1917/18 geworden"? Sie tragen die Uniformen der Beatles vom Cover des "Sgt. Pepper"-Albums, asiatische Pilzhüte und Ho-Chi-Minh-Bärte, blasen auf dem Blech, schlagen den Gong und trommeln unentwegt den Erzählrhythmus. Gleich mehrfach werden historische Prozesse verfremdet als Märchen wiedergegeben. Elvis, John Lennon und Mickey Mouse mischen sich ein. In einer Art Talkshow streiten sich drei Leuchten über die Echtheit von Lenins Mumie und die Rolle Stalins in der Geschichte, wobei Fakten mit Halbwissen und Nonsens zu einem ungenießbaren Brei vermengt werden. Drängte sich eingangs der Eindruck auf, dass die Truppe viel lieber Verwirrung statt Aufklärung betreibt, relativiert sich dieser spätestens bei den eingesprochenen Brecht- und Heiner-Müller-Passagen: Die Pervertierung des Traums von einer gerechten Gesellschaft ist das Werk der kommunistischen Führer, deren auch nach innen gerichteter Terror Millionen Anhängern das Leben kostete. Während man Lenin noch heute vor der Kremlmauer wie Schneewittchen im Glassarg zur Schau stellt, wurden viele dieser Opfer in Massengräbern verscharrt.

Zum Höhepunkt dieser tragikomischen Totenbeschwörung avanciert der vierstimmige Gesang von "Unsterbliche Opfer", wobei im Rhythmus Lichter an- und ausgeknipst werden. Wunderbar, wenn die aus Kasachstan stammende Vettka und der US-Amerikaner Thomas jeweils in ihrer Muttersprache reden. Am verstörendsten ist jene Frage, die nicht gestellt, doch unentwegt provoziert wird: Was ist von den sozialen Utopien des 20. Jahrhunderts geblieben. Woran glauben wir, die wir nicht haben "dran glauben" müssen?

FRANK QUILITZSCH

TLZ Kultur

Ein Schauprozess für Mickey Mouse

Esther Boldt, TAZ, 2009-01-08

Im "Mausoleum Buffo" sind die Toten ziemlich lebendig: Der Totenkult um Lenin und Stalin und das Ende der Utopien sind zwei Seiten einer Medaille in dem launigen Trauerlied, das andcompany&Co. im HAU 2 anstimmen

Es steht ein Walross auf dem Roten Platz. Mit einem großen Eierkopf und einem goldenen Bart. Es ist Josef Stalin, der Führer der Weltrevolution, der zum Diktator wurde, an seiner Seite schüttelt Lenin den graubärtigen Schädel. Wenn diese Eierkopfversammlung mit Humpty-Dumpty-Masken nun die Bühne des HAU 2 bevölkert und vor einem schiefen Mausoleum unter einem rot leuchtenden Stern kommunistische Gespenster beschwört werden, kann dies nur eine Inszenierung von andcompany&Co. sein.

Das Umschlagen des kommunistischen Traums in den Terror hat sich das Performancekollektiv im dritten Teil seiner Trilogie vom Ende des Kommunismus vorgenommen. Der Trilogie erster Teil, "little red (herstory)", unternahm eine Zeitreise zum Mauerfall, der zweite Teil "time republic" verfolgte das Wettrüsten des Kalten Krieges. "Mausoleum Buffo" nun ist ein Trauertanz um die Opfer des stalinistischen Terrors – und zugleich ein Traumkabinett, in dem Fliegenpilze a cappella singen und Rosa Luxemburgs Pappmaske mit den Augen rollt.

Dass hier vieles aussieht, als hätte man Alices‘ Wunderland durch einen kaleidoskopischen Fleischwolf gedreht, hat Methode. Erinnerungsarbeit wird mit den Mitteln des Märchens angepackt. So erzählt Nicola Nord von einem träumenden Männchen, das alt und jung zugleich ist, und meint den einbalsamierten Lenin im Mausoleum an der Kremlmauer. Die großäugige Sprache verstärkt das utopische Moment, ohne es ins Lächerliche kippen zu lassen.

Dazu läuten Gongs, Xylofone und Pauken Tänze und Trauermärsche ein. Die Musik von Sascha Sulimma, diesmal live produziert, nimmt bei andcompany&Co. immer eine wichtige Stelle ein, die die Performances rhythmisiert und überraschende Kontexte eröffnet.

Im Text wird das Märchen über Lenin mit Zitaten von Marx bis zu Elvis und John Lennon zusammengebracht. Eine launige Expertenrunde streitet über Lenins Leiche und die Stellung Stalins in der Weltgeschichte und lässt dabei eine Pappglühbirne von Stirn zu Stirn wandern: "Jetzt ist dir endlich auch mal ein Licht aufgegangen!" Schmerz und Komik pflegen eine enge Nachbarschaft. Das Kippen ins Humorige, ins Fantastische und Phantasmatische gehört zum Programm, um an die kollektive Verrückung der Wahrnehmung zu erinnern, als der unbedingte Fortschrittswille Stalins innerhalb kurzer Zeit die Sowjetunion von einem Entwicklungsland in ein Industrieland verwandelte.

Der Propaganda der Sowjetunion werden dabei, wie in der späteren Sozart, kapitalistische Bilderwelten an die Seite gestellt. Zum Beispiel dann, wenn die Moskauer Schauprozesse mit Walt Disney kurzgeschlossen werden: In einem toll gewordenen Mickey-Mouse-Club entblößt der Performer Alexander Karschnia als sadistische Obermaus den Irrglauben seiner Bühnengenossen, die nacheinander auf einem Klapphocker Platz nehmen. Die aus Kasachstan stammende Vettka Kirillova muss sich anhören, dass sie glaubte, Lenin sei ihr Großvater, während der US-Amerikaner Thomas Myrmel dachte, Englisch sei eine universale Sprache. Das ist eine fiese kleine Beichtshow, die den Glauben an eine Idee zur politischen Leitfrage erklärt. Und ihn am Rande des Vergessens situiert: Denn später stimmen die vier Performer einen proletarischen Grabgesang an, "Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin", und lassen dabei vier Glühbirnen rhythmisch aufflackern und verlöschen. Dieses starke Bild wird zu einem Kommentar auf eine selektive Geschichtsschreibung, die festlegt, welche Namen erinnert werden werden und welche vergessen.

So führen andcompany&Co. ihr dreiteiliges Lied vom Ende des Kommunismus unglaublich witzig und irrsinnstraurig zugleich zu Ende. Im Raum stehen bleibt die Frage: Was ist übrig geblieben von der großen Utopie des letzten Jahrhunderts? Und an welche politische Idee glaubt die Performancegruppe selbst? Die letzten Worte des Abends stammen von Marx, der den Sieg jener voraussagt, die "zuletzt dran glauben". Nach diesem Gespensterreigen klingt die Doppelzüngigkeit des "Dranglaubens" noch sehr lange nach.

TAZ

Deutschlandfunk - Kultur Heute

Hartmut Krug, Deutschlandfunk - Kultur Heute, 2009-01-08

Mit drei sogenannten "Recherche"-Theaterprojekten startet das Berliner HAU auf seinen drei Bühnen in das neue Jahr. "Mausoleum Buffo" nennt die "Andcompany & Co" ihre Theaterperformance, für deren Vorbereitung sie sogar nach Leningrad gereist ist. Nach einem Zitat von Heiner Müller, dessen "Hamletmaschine" die Gruppe in ihrem vorherigen Projekt "Showtime: Trial & Terror" mit dem Zeitgeist der Fernsehshows konfrontierte, wollen sie in "Mausoleum Buffo" den "Clinch von Revolution und Konterrevolution" als geistige Umarmung der Superhelden Lenin und Lennon zeigen.

Verkleidet als Eierköpfe, treten die meist englisch sprechenden Performer zwischen Kulissen auf, die an konstruktivistische Architektur und Kunst erinnern. Lenin liegt im Hintergrund wie Schneewittchen in seinem Sarg, während sich die fünf Performer als trompetende und trommelnde Kapelle und als Zitat-Remixer durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts spielen.

Die Inszenierung, die unter anderem Texte von Brecht und den Beatles, von Marx und Müller, Majakowski und Elvis durcheinander wirbelt, zeigt eine Geschichte des Verrats. Das Mausoleum spuckt unentwegt Figuren der sozialistischen Bewegung und der modernen Popkultur aus. Die Performer halten sich Masken der Figuren vor oder setzen sich Mickey-Mouse-Ohren auf, und einer verkleiden sich für den Beatles-Song "I am the walruss" mit einem Walross-Eierkopf.

Die Textmontage ist hochkompliziert, und auch die Identifizierung der zahlreichen Figuren, deren Pappgesichter oder Zitate aufscheinen, ist nicht einfach. Doch der Abend besticht durch seinen szenischen Einfallsreichtum, er besitzt einen ungeheuren Charme, der sich sowohl aus einem intellektuellen Basteltrieb wie aus einer kindergeburtstagsartigen Lustigkeit speist. Das Publikum war jedenfalls sowohl zufrieden als auch total erschöpft.

HARTMUT KRUG, 08.01.2008

Deutschlandfunk - Kultur Heute

Zwischen Mao und Mr. Spock

Monika Idems, Der Westen, 2009-12-02

Düsseldorf. War Lenin der Tarantino des 20. Jahrhunderts? Gute Frage. Andcompany & Co stellen sie in der Performance "Mausoleum Buffo": Mit der surrealen, dreidimensionalen Collage aus Licht, Text, Raum, Körpern und Hirn spielen sie ihr Publikum beim Theaterfestival Impulse schwindelig.

Überm roten Platz leuchtet der rote Stern der Revolution und Lenin ruht in seinem Mausoleum. Obwohl von letzter Ruhe keine Rede sein kann, wenn andcompany & Co die Bühne mit Beschlag belegen, betanzen, bespielen. 90 pausenlose Performance-Minuten lassen sie ihr „Mausoleum Buffo“ explodieren – rätselhaft und witzig, leise, laut und tiefgründig, schräg und multimedial. Zu sehen beim Theaterfestival Impulse, zum Beispiel am Dienstagabend um 20 Uhr in der Studiobühne der Uni Köln.
Aber auch schon in Düsseldorfer Juta hat das internationale Performance-Kollektiv das Impulse-Publikum verwirrt. 2003 haben Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma die Gruppe gegründet, für einzelne Projekte verpflichten sie andere Künstler, in diesem Fall sind Vettka Kirillova und Thomas Myrmel dabei. Und leihen illustren Gestalten ihren Körper, die alle mal bei Lenin vorbeischauen.

Luxemburg lässt Lennons Gitarre sanft weinen

Karl Marx taucht auf und Rosa Luxemburg, Bert Brecht, Heiner Müller und Elvis. Text- und Songfetzen fliegen durch die Gegend, die Künstler machen Licht und die dazugehörigen Schalter zu Percussion-Instrumenten, die "Eggmen" der Beatles wackeln über die Bühne ("I Am The Walrus" als Kanon klingt richtig gut). Und dann sitzt Rosa da mit John Lennon, nimmt seine Gitarre und lässt sie ganz sanft weinen. Wie war das nochmal mit der Revolution? Verdient nicht jede Generation ihr ’68? Und: War Lenin der Tarantino des 20. Jahrhunderts? Oder ist Tarantino der Lenin des 21. Jahrhunderts?

Zwischen Mao und Mr. Spock

Fragen über Fragen. Nach Antworten kann das Publikum in der Performance suchen, die eine riesige, surreale und dreidimensionale Collage ist: aus Licht und Klang, aus Schrift und Sprache und Gesang, aus Skulpturen, Raum, Körpern, Hirnen und Ausdruck. Allerdings besteht die Gefahr, dass das Quintett in den Anzügen zwischen Mao und Mr. Spock, die unwirklich goldige Wesen verbergen, ihre Zuschauer schwindelig spielen.
"Mausoleum Buffo" ist der dritte und letzte Teil einer ‚Trilogie des Wiedersehens mit dem 20. Jahrhundert’ der andcompany, die mit "little red (play): ‚herstory’" im Herbst 2006 begann und ein Jahr später ins All führte in die "TIME REPUBLIC". Im Sommer recherchierte andcompany&Co. in Russland, dokumentiert im BUFFO-Blog.

Der Westen

Avantgarde! Subversion! Testosteron!

Christine Wahl, Theater Heute/ Ankündigung Impulse 2009, 2009-11-06

(…) Auch unter Newcomern sind ernst zu nehmende politische Reflexionen wieder stärker en vogue – und die künstlerischen Strategien zwischen dem klassischen Doku-Format und der unterhaltsamen Ausschlachtung realsatirischer Kanzlerinnenstatements à la «Planet Porno» erfreulicherweise vielfältiger geworden. Die in Berlin ansässige internationale Truppe andcompany&Co. liefert mit «Mausoleum Buffo» zum Beispiel das verfahrenstechnische Gegenprogramm zu Kroesinger: Wo der Positionen minuziös auseinander dividiert, verdichten, sampeln und remixen die auf ideologischen Restmüll aus kalten Kriegszeiten spezialisierten Metaebenen-Jongleure ihr Material so lange, bis «Lenin» exakt wie «Lennon» klingt – wobei die Rede hier logischerweise nicht nur von der Signifikanten-, sondern vor allem von der Signifikatsebene ist.

Wenn in «Mausoleum Buffo» gerade durch das Wieder- und Wiederlesen, -Kontextualisieren und -Verfremden am Ende tatsächlich maximal unverstellt jener eigentümliche Bodensatz zutage tritt, der sich von gesellschaftlichen Ideen im kollektiven Unbewussten gemeinhin so festsetzt, hat das einen ziemlich einfachen Grund: Zwar sind andcompany&Co. nicht die einzigen, bei denen die Wege vom Sowjetfahnen-Emblem zum RAF-Logo oder von der Heiner-Müller- zur Lady-Bitch-Ray-Maske exakt so kurz sind wie die Hirnwindungen des durchschnittlichen TV-Quizshow-Konsumenten. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Performer selbst im Vorfeld die realiter zurückzulegenden Langstrecken tatsächlich erst mal mit dem adäquaten IQ vermessen haben, bevor sie sie auf der Bühne kurz und klein sampeln – und damit souverän von einer Metaebene aus agieren, die oberflächlich vergleichbare Performances oft gar nicht erst ansteuern. Und zwar nicht mal nur mangels der entsprechenden Fähigkeiten, sondern oft schon wegen der Abwesenheit jedweden Problembewusstseins dafür (…)

Theater Heute/ Ankündigung Impulse 2009

Russische Revolution und westlicher Pop

Tobias Kolb, Nordwest-Zeitung, 2010-04-29

Theater Festival „Pazz“ mit einer Performance über den Kommunismus

Oldenburg – Der Rote Stern strahlt hell über dem Bühnenbild in der Oldenburger Exerzierhalle. Im Hintergrund ist das Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz zu sehen, in dem Lenin im „hundertjährigen Schlaf“ liegt, ähnlich wie Schneewittchen im gläsernen Sarg. Aus diesem „Mausoleum Buffo“ – so heißt das Stück, welches das Performance-Kollektiv „andcompany&Co“ jetzt im Rahmen des „Pazz“-Festivals aufführte – entsteigen die Geister des Kommunismus und Kapitalismus, der russischen Revolution und der westlichen Popkultur.

Für „Mausoleum Buffo“ recherchierte das Kollektiv, das sich 2003 in Frankfurt grün-dete und mittlerweile in Ber-lin lebt, unter anderem in Moskau. Lenin, der dort strah-lend wie eine Glühbirne lag; die Besucher, die am Glassarg nicht stehen bleiben dürfen, sich rastlos an dem Revolutionär vorbei bewegen, sei einer der Ausgangspunkte für „Mausoleum Buffo“ gewesen, erklärte Nicola Nord, Gründungsmitglied von „andcompany&co“ im Anschluss an das Stück.

Alles in Bewegung
Diese Rastlosigkeit habe man auch in das Stück inte­grieren wollen. Was zweifelsohne gelang. Permanent rennen die fünf Performer über die Bühne, bauen diese ständig um; alles ist in Bewegung.

Zwischen den Antipoden Lenin und John Lennon, Sta-lin und Elvis Presley lotet das Kollektiv die Geschichte des 20. Jahrhunderts aus, entwirft ein Bild des Sozialismus, als hätte Walt Disney seine schützende Hand darüber gehalten.

Das gesamte „Mausoleum Buffo“ ist vollgepackt mit Anspielungen und Symbolik. Die Bühne, oft nur von Glühbirnen beleuchtet – jenem Symbol für Lenins Kommunismusgleichung: „Sowjetmacht plus Elektrifizierung des gan-zen Landes“. Texte der Beatles und von Majakowski, surreale Eierkopfmasken, Rap und immer wieder Micky-Maus-Club: Personenkult und Popkultur. Irgendwo dazwischen gliedert sich das Brainstorming von „andcompany&Co“ durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein. Es wirkt, als hätte ein DJ versucht, darüber einen Remix anzufertigen.

Schnelles Spiel
Die unglaubliche Performance fordert den Zuschauer, bereichert ihn aber auch, wenn er sich auf das schnelle Spiel mit den Versatzstücken einlässt. Denn, auch für ihn gilt das Gleiche, wie in Lenins Mausoleum: Nicht stehen bleiben!

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Im Pool mit Adorno

Alexander Karschnia, Berliner Gazette, 2009-09-09

„Am Anfang schwebte der Geist ueber den Wassern“ als pralle Regenwolke – so viel zum kosmischen Kreislauf. Wir Landlebewesen sind Effekt einer Klimakatastrophe, als „Mischwesen“ sind wir an Land, auf die Buehne gekrochen und als solche werden wir sie nach der „Abschaffung der Arten“ (Dath) wieder verlassen: Regression zum Lurch (according to Adorno & Horkheimer) oder Degeneration der Klassen in zwei verschiedene Arten (H. G. Wells) – es zieht uns zurueck in den Tuempel: die Verwandlung vom Prinzen in die Kroete.

Aber man kann die Metapher eines kollektiven „Ins Wasser gehens“ auch in hellerem Licht sehen: In der Tradition des Afro-Futurismus gibt es eine Sci-Fi-Fantasy 10.000 Meilen unter dem Meer: „Black Atlantis“. In U-Staedten wohnt eine Zivilisation von Wassermenschen, Nachfahren des versunkenen Kontinents und Kinder jener Sklavinnen, die hochschwanger ins Meer gestossen wurden, wenn die Sklavenschiffe in Seenot gerieten auf dem Weg in die „Neue Welt“ und die „Ladung geloescht wurde“.

In dieser ozeanischen Welt herrscht Inter-Species-Communication ueber Sounds, eine Welt voller Klaenge & Gesaenge. Vielleicht ist es Techno-Musik, die uns ins Wasser lockt wie Sirenen, der „Untergang des Abendlandes“ (Spengler) ist woertlich zu verstehen als Absaufen und die UFOs kommen nicht from Outer space, sondern aus dem Meer als fliegende U-Boote, Boten einer neuen Kultur. Wenn der letzte Eisberg geschmolzen ist, werden wir dort zu Grunde gehen, vorausgesetzt we know how to dance!

In „europe an alien“, einem unsrer ersten Stuecke haben wir schwarze Regencapes getragen, die man in Amsterdam, wo wir damals gelebt haben, ueberall kaufen kann. Darin sieht man aus wie der Boogey-Man: Das ist die Figur, vor der sich alle fuerchten – ins Meer geschleift zu werden von einem rachsuechtigen Geist. Aber keine Reue ueber keine Gier bringt hier Rettung, sondern nur ein Kopfsprung: „Jump, you fuckers!“ (Demo-Slogan Wall-Street, Oktober 08).

In unserm aktuellen Performance-Projekt geht es um einen Zirkus, der unter Wasser gesetzt wird von einem Holzkopf, der nix tut. Vorlage ist „Zirkus Sardam“ von Daniil Charms. Uns geht es um ein „Lob der Faulheit“ in der Tradition Adornos, der sich das Glueck vorstellte „auf dem Wasser liegend und friedlich in den Himmel schauend“. Im Pool mit Adorno. Diese Idylle wird konterkariert vom Bild der Turbulenzen „auf hoher See“, das inflationaer fuer die Krise benutzt wird, fuer das Ende der Gemuetlichkeit im nationalen Wohlfahrtsstaat.

Die Globalisierung als weltweite Verfluessigung, wobei man sich Staatslenker gerne als Steuermaenner vorstellt wie Stalin am CCCP-Steuerrad: „Nicht das Proletariat steht am Steuerrad/ sondern ein Walross regiert jetzt den Staat“ heisst es in unserm aktuellen Stueck „Mausoleum Buffo“. Dort sieht Lenin, wenn er nachts durch eine „Glass Onion“ blickt, ein Piratenschiff im Himmel: „Dead Kronstadt-sailors are trying to fix a hole in the ocean“. Diese Lennon-Zeile kommt in den Sinn, wenn man von den Massnahmen der Regierung liest, das Billionen Dollar-Loch zu stopfen.

Und Ringo Starr, der ein Loch aus der Hose zieht: „I have a hole in the pocket!“ Mit diesen Loechern, die verdammt wie LPs aussehen, muessen wir jonglieren lernen in den naechsten Jahren! In unsrer globalen Waterworld sind das die Lecks, durch die das Wasser eindringt als das „Aussen“, das es angeblich laengst nicht mehr gegeben hat. Die Fluten kommen von Innen – es sind die verdraengten Wuensche! Zeit, mit der Titanic-Metapher aufzuraeumen, sich von Eisbergen und -baeren zu verabschieden und „ins Offene“ hinauszuwagen: „Ein Schiff, das sich Kommune nennt!“

Berliner Gazette

Generation Mauerfall

Dennis Vollmer, WAZ, 2009-03-02

Mit „Mausoleum Buffo" präsentiert „Andcompany" mitreißenden Agitations-Pop. Abschluss der Ost-West-Trilogie. Rosa Luxemburg steht neben Zappa, Castro neben Elvis.

Lenin? Lebt! Lennon? Lebt! Dutschke ? Lebt! Zum Schluss von „Mausoleum Buffo" lässt andcompany ihre Helden mu­sikalisch hoch leben und Frontfrau Nicola Nord singt sich die Kehle aus dem Leib – großartig! Ein mitreifgender Agitations-Pop, der die ideolo­gischen Ost-West-Demarkati­onslinien des kalten Krieges überbrücken will: Rosa Lu­xemburg steht neben Zappa, Castro neben Elvis. Warum auch nicht? Den „großen" Ideologien und ihren Vertretern kann sich die Thea­tergruppe vorbehaltslos nähem. Denn sie gehört zur „Ge­neration Mauerfall", die aus dem einstigen Wettrüsten um die Kopfe auszusteigen ver­sucht, die den realen Sozialis­mus und die Kommunisten­verfolgung der „Generation Mauerbau" allenfalls in ihren Niedergangen erlebt hat. Bei­des, allerdings, hat das Perforfmer-Kollektiv schon in zwei Stücken („Little red play" und „Time Republik") so geistreich wie irrwitzig verarbeitet, „Mausoleum Buffo" ist der Ab­schluss dieser Trilogie.

Und die erzahlt ihre eigene Geschichte vom Aufstieg des Sozialismus und russischen Burgerkrieg. Der stalinistische Terror ist eigentlich kein Stoff für einen „Buffo", also eine bewusst Überzeichnete Opernfigur, die das Publikum zum Lachen bringen soll. Oder doch? Andcompany verpacken die blutige Auseinandersetzung zwischen den Glaubenssyste­men von Bolschewiken, Stali­nisten und Trotzkisten in eine musikalische Marchenform: Lenin liegt in einem riesigen Bühnensarkophag im Hinter­grund, Stalin taucht auf mit uberdimensionierten Eierkopf und Walrossschnauz, der Er­zahler (Alexander Karschnia) stellt sich mit großen Mickey Mouse-Ohren ans Mikrofon.

Das Arrangement aus absurden Masken, Performance und genialistisch-minimalistis cher Musik erinnert dabei an eine berühmte Avantgardegruppe aus San Francisco, die in den 70er und 80er Jahren beson­ders durch ihre „Eyeball"- Köpfe und abstrusen Ge­schichten auffiel: „The Resi­dents". Andcompany haben jedoch ihren eigenen Stil, streuen in ihr Stuck eine hal­bernste philosophische Runde ein, ob Stalin der Quentin Tar­rantino der 30er Jahre sei und befragen ihre privaten Glau­benssysteme: Ist das westliche Konzept der Ersatzfamilie nicht auch ein bisschen Sozia­lismus?

Denn die vier Performer haben vor allem eine politische Botschaft: „Es ist nicht wichtig, wer zuerst da war, sondern wer dran bleibt", uberlegt Erzähler Alex – wiegt den „realen" Sozialismus gegen den „wahren" ab. „Mausoleum Buffo" legt damit ein Stuck Utopie frei, das Stalin und kal­ter Krieg verschtittet haben.
Ein paar „Versprengte" nur, vielleicht 20 Gaste, finden zur Premiere in den Ringlok­schuppen. Und man fragt sich, wo die „Theaterstadt Mül­heim" geblieben ist, die mal wieder eine der inspirierendsten Performer-Gruppen der Freien Szene verpasst hat.

DENNIS VOLLMER

WAZ

Lenin und Lennon bitten zum Totentanz

Friedemann Bieber, Münster, Westfälische Nachrichten, 2009-02-15

Das ist das Finale: Goldfarbene Figuren gleiten am Mausoleum hoch. „I am the walrus“, textete einst Lennon. Hat der Beatle geirrt? Aus dem halb versenkten Mausoleum stolpert ein Eierkopf auf den Roten Platz; Walross-Stoßzähne ragen aus der Schale. Doch das groteske Wesen verkörpert nicht John Lennon. Das Ei winkt wie nur Despoten winken. Der goldene Bart verrät: Da steht Josef Stalin. Und über ihm funkelt ein roter, fünfzackiger Stern. So beginnt im Pumpenhaus eine Expedition Marke „Magical Mystery Tour“.

„Mausoleum Buffo“ heißt das fulminante Finale einer Trilogie, mit der das international umjubelte Performance-Kollektiv „andcompany&Co.“ ins 20. Jahrhundert entführt. Nach „little red (play): ‚herstory’“ und „Time Republic“ in den Jahren 2006 und 2007 folgt nun der Abgesang auf den Kommunismus. Auf dem Roten Platz bitten Lenin und Lennon zum Totentanz. Schade nur, dass das kaum jemand sehen will. Vor den etwa 50 Zuschauern entlädt sich ein krachendes Gewitter der Geistesblitze. Es wird grell, Trommeln donnern, Glühbirnen gleißen. Wir feiern die Ideale des Pop und des Kommunismus! Und dann: Stille, Dunkelheit, Verse. Ernüchterte, brutale Melancholie.
„Mausoleum Buffo“ ist beides, spritzige Hommage an die Utopie und schonungslose Abrechnung mit der Ideologie. Ein hochanspruchsvolles Stück, gespickt mit einem Potpourri an Zitaten von Brecht über die Beatles bis Marx, das schier unfassbare Kräfte entfaltet. Gebannt verfolgen die Zuschauer das 90-minütige Spektakel auf der Bühne, ein ebenso tosendes wie feinsinniges Fest der Kreativität. Der Spannungsbogen reißt nie ab. Anfangs hopsen Eierköpfe aus dem Mausoleum, zum Abschluss gleiten anmutig goldene Gestalten über den Roten Platz und zwischendurch grüßt zwinkernd Micky Mouse mit Pappnase.
Elvis gibt sich die Ehre, und auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erscheinen zum Maskenball. Dann wieder singen psychedelische Fliegenpilze a cappella, vollführen Glühdrähte kecke Choreografien, rätseln Könner der Komik über den Leichnam Lenins. Die ganze Geschichte: eine Collage voll Witz und Ästhetik. Auf Deutsch, Englisch und Russisch sprechen die fünf Darsteller, während sie über die Bühne wirbeln. Die Kulisse ist Avantgarde: eine Synthese aus amerikanischer Showbühne und konstruktivistischer Baukunst, die klug mit Motiven spielt – etwa mit der Sonne am fernen Horizont, dem Symbol des Sozialismus. Geht sie nun eigentlich unter – oder geht sie auf? Gelbe Streifen laufen auf das Mausoleum zu, als es schlussendlich heißt: „Denn nicht darum geht es in diesem Märchen, wer zuerst da war; sondern darum, wer am Ende daran glaubt – alle oder keiner.“ Dann knipst Marx das Licht aus. Genial!

 

Westfälische Nachrichten