Ökofuturistische Sause in der Floating University

Patrick Wildermann, Tagesspiegel, 24.05.2024

„Bogdanow, Musk und Bowie – nimmt das für smarte Verlinkungen bekannte Kollektiv andcompany&Co mit auf einen Performance-Trip, der aus ganz eigener Perspektive um Fragen planetarischer Bewohnbarkeiten kreist. (…) andcompany&Co bieten einen entspannten, manchmal auch etwas unterspannten Abend an, der Degrowth-Konzepte, retro-futuristische Synthesizer-Klänge, Überlegungen zu Bakterien und anderen smarten Lebensformen, Mars-Walk-Choreografien und mehr zu einem gut gelaunten Happening vereint, an dessen Ende eine bedenkenswerte Bogdanow-Erkenntnis steht: „Ein Planet vermag alles, sogar, intelligentes Leben auszulöschen.“

www.tagesspiegel.de

andcompany&Co. erträumt sich in „Mars on Earth“ eine bessere Zivilisation

Doris Meierhenrich, Berliner Zeitung, 25.05.2024

„Wer es noch nicht kennt, es ist eine Entdeckung wert: das wunderbar verwunschene wie funktionale Gelände des Regenwasserrückhaltebeckens neben dem Tempelhofer Feld. (…) nun auch Theaterbühne für die experimentierfreudigste unter Berlins Performancetruppen. (…) Seit je laden sich Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma künstlerische Kompagnons für ihre Stücke ein, mit denen sie die tollsten gesellschaftlichen Zukunftsszenarien auf die Beine stellen. Und immer gibt eine Verspieltheit und geistige Wachheit dabei den Ton an, die kein gutes oder schlechtes Spiel kennt, wohl aber richtige oder falsche Fragen. (…) Zwischen eiförmiger Raumkapsel, Luftkissen und uraltem Grammophon diskutieren, turnen und singen die neun Gedanken-Raumfahrer so angestachelt denn auch über andere Welten, die Bedingungen des Lebens überhaupt und wie wachsende Naturausbeutung diese nicht zerstören soll.“

www.berliner-zeitung.de

Starkes Stück an beeindruckendem Ort

Barbara Behrendt, rbb inforadio Kultur, 24.05.2024

„andcompany&Co. haben eine Mischung aus dokumentarischem Lehrstück und Science-Fiction-Komödie entworfen, ein Chorstück, angeleitet von der Volksbühnen-Chorexpertin Christine Groß (…) Wie leben ohne Wasser, ohne Sauerstoff? Das können uns die Künstler*innen und Aktivist*innen natürlich auch nicht beibringen. Dafür führen sie uns aber das Denksystem vor, dass uns marsähnliche Zustände beschert. Entweder Größenwahn oder Minderwert statt Verantwortung (…) Die Mischung aus Kunst und Naturereignis führt dann eben doch dazu, dass die Nachricht vom Aussterben des Menschen in die Eingeweide sickert.“

www.inforadio.de

„Starke Stücke“ feiert 30 Jahre

Eva-Maria Magel, faz.net, 16.2.2024

Kully ist ein Kind aus Frankfurt am Main. Ein Kind, das fliehen muss, weil der Vater Texte schreibt, die von den Nationalsozialisten gehasst werden. Deshalb ist Kully unentwegt auf Reisen, erst quer durch Europa, dann nach Amerika, das Geld ist knapp, der Vater ein Hallo­dri, dauernd fehlen Papiere. Was ist Asyl, was ist eine Grenze? Die Fragen von Kully, die Fragen anderer Kinder im selben Alter, etwa elf, hat das Performancekollektiv andcompany&Co. zusammen mit Kindern zu einer Performance entwickelt, die Irmgard Keuns Romantitel „Kind aller Länder“ aus dem Jahr 1938 umdreht. In eine Utopie? In jedem Fall in eine Performance, die von Flucht und Exil handelt und vorgebliche Gewissheiten der erwachsenen Ordnung infrage stellt.

www.faz.net

Aus dem Blickwinkel des Kindes: Im Berliner Theater HAU buchstabieren sich Flucht und Vertreibung als Jugendtheater aus.

Julia Hubernagel, taz, 10.12.2023

Sanna, Gilgi, Kully: Es sind zeitlose Namen, die Irmgard Keun ihren Protagonistinnen verlieh und die auch örtlich kaum zuzuordnen sind. Letzterer, Kully, ist der Name eines Mädchens, das nirgendwo zu Hause ist. In Keuns Roman „Kind aller Länder“ flieht sie mit ihren Eltern vor den Nazis durch Europa. Stets fehlt Geld, Visa laufen ab. Grenzen, die niemand sieht, aber jeder fürchtet, werden unpassierbar.

Das Theaterkollektiv and­com­pany&Co hat den Roman weitergedacht und auf die Bühne des Berliner HAU-Theaters gebracht. „Land aller Kinder“, ein „Erwachsenenstück für Kinder“, bringt Licht ins Dunkel der Bürokratiehölle, die das Thema Flucht und Migration abgrundartig umgibt. Was ist Asyl? Was sind Menschenrechte? Zufriedenstellende Antworten, das sieht man den Kinderdarstellerinnen (Rokia Karschnia und Zümra Köseoglu) an, liefern die Erwachsenen selten.

Zumindest die Bedeutsamkeit von Pässen kann der Zahnarzt und „Mini-Buchhändler“ Damon (Damon Taleghani) veranschaulichen. Denn was ist ein Pass anderes als ein Mini-Buch? Damon träumt von einer Welt, in der jeder seine Geschichte in ein Mini-Buch schreibt und so, legal und bestempelt, alle Grenzen übertreten darf.

Der Nationalsozialismus liegt lange zurück. Kindern die Wirren der Zeit verständlich zu machen, ist eine Herausforderung, mit der sich Pädagogen heute, 80 Jahre später, konfrontiert sehen. Nun ist Universalismus ein Werkzeug, mit dem eher zu oft als zu selten historische Besonderheiten aus dem Weg geräumt werden.

Verhöre mit der Ausländerbehörde

Es gibt allerdings eine Ausnahme, die Pauschalisierung gestattet: Aus der Perspektive eines Kindes ist Flucht immer total, egal ob es vor den Nazis, den Mullahs oder Assad-Schergen zu fliehen gilt. So verknüpft andcompany&Co Kullys mit heutigen Fluchterfahrungen, wie der von Luna (Luna Ali), die als Kind aus Syrien nach Deutschland floh – mit dem Flugzeug, wie sie in endlosen Verhören mit der Ausländerbehörde immer wieder erklären muss.

Fantasievoll spiegelt sich das Migrationschaos im Bühnenbild (Hila Flashkes) aus Büchern und Zähnen, die Damon mit einer übergroßen Zahnspange verkabelt. Irgendwann gerät alles durch- und ineinander: das belgische Ostende, Deutschland, Iran und überhaupt die Zeiten.

Das dürfte jedoch durchaus im Sinne Irmgard Keuns gewesen sein, ließ die doch nicht nur in ihren Texten, sondern auch in Bezug auf Lebensdaten, auf Namen und Fakten immer wieder der Fantasie freien Lauf.

taz.de

Auch ein Einhorn spielt mit - In Schwedt untersucht andcompany&Co feat. Arbeiterinnentheater die Industriegeschichte der Stadt.

Janina Reinsbach, Märkische Oderzeitung, 18.09.2021

Schwedt. Diese Inszenierung ist Schwedt auf den Leib geschneidert. Gleichzeitig bringt sie historische Themen auf den Plan, die weit über Schwedt und die DDR hinausweisen. Da ist das Petrolchemische Kraftwerk (PCK) mit allen technischen und politischen Visionen, seine Mitarbeitenden und ihre individuellen Geschichten. Da ist das Arbeitertheater, das Anfang der 1960er von Gerhardt Winterlich gegründet wurde und für das er 1968 das Erfolgs- Stück „Horizonte“ schrieb, das ein Jahr nach der Uraufführung in Schwedt seinen Weg an die Volksbühne Berlins fand, in Adaption Heiner Müllers. Und da sind erste Ideen zur Kybernetik, zukunftsweisend, ehe sie politischen Wetterwechseln zum Opfer fielen. Mit ihnen kommen Fragen nach der Automatisierung von Produktion durch Computer, Selbstoptimierung, Digitalität, Arbeitswelten und Effizienz. Fragen, die aktueller sind denn je. Die Bühne versetzt das Publikum in einen futuristisch-industriellen Trashtraum. Röhren ragen aus Boden und Wänden. Große, wabenhafte Kuben sind wie Raumkapseln aufgestellt. Eine Projektionsfläche, einige Klappstühle. Darsteller in silbernen, spacigen Anzügen. An den Bühnenrändern drei Stationen voller Schlagwerk, Pulte und Technik. Die elektronische Live-Musik ist sphärisch, dynamisch, viele Klänge und Effekte sind analog erzeugt, obwohl sie elektronisch anmuten. Das Berliner Theaterkollektiv andcompany&Co arbeitet vielschichtig unter Einbindung komplexer, wort-verspielter Texte in digitalen wie realen Bühnenwelten und ohne je die Verbindung zu verlieren. Das Ergebnis ist ein dichtes Netzwerk aus visuellen und Sound-und Text-Elementen, in dem Digitales und Analoges spielerisch kombiniert werden. Alles entwickelt einen unaufdringlichen, absurden Humor. Eine Komik aus Röhren-Dialogen, Adapter-Sozialismus, einem aufblasbaren Einhorn als wunderlichem Zitat aus der ersten Schwedter Inszenierung der „Horizonte“ oder einer ferngesteuerten Wanne, die über die Bühne saust. Dann wieder poetisch ruhige, spektakuläre Bilder aus der Vogelperspektive einer Drohnen- Kamera auf das weite Land und die Industriekulisse Schwedts. Die Mitglieder des historischen Arbeitertheaters geben der Inszenierung ihre besondere Würze. Ob sie nun digital als Video, Hologramm oder erfrischend real in Erscheinung treten, sind es doch ihr Zeugnis, ihr Ton und ihre individuellen Geschichten, die man als festen Boden im komplexen Ideengewebe unter den Füßen spürt. Beim Verlassen des Theaters brennt unübersehbar der Raffinerieturm. Wie eine riesige Fackel führt er die Dramaturgie der Inszenierung fort, sein Widerschein ist noch weithin am Horizont zu sehen.

 

Am 21.10.2020 ist unser Freund, Genosse, Arbeiterschauspielerkollege und in vielerlei Hinsicht Lehrer Edgar Walter gestorben. Mehr