Ein Wort in eigener Sache

Alexander Karschnia / andcompany&Co., aus: HYPERDARK „If the kids are divid:ed…“

Ein Wort in eigener Sache: wer wir sind und was wir wollen. Wir sind Krisendarstellerinnen, also genau das, als was Putin, Trump, ihre Trolle und Vasallen immer die realen Opfer bezeichnen. Wenn wieder ein rassistischer Polizeimord, ein Amoklauf in einer Schule stattgefunden hat oder wenn in einem schmutzigen Angriffskrieg zivile Opfer entdeckt werden, dann spricht die Propaganda von „Krisendarstellerinnen“. In Wahrheit gibt es keine „Krisendarstellerinnen”. Dennoch steckt in dieser Vorstellung von „Krisendarstellerinnen“ vielleicht ein performatives Potenzial, das wir noch gar nicht zu entdecken begonnen haben. Zunächst gilt es darauf zu reagieren, was die Rede von „Krisendarstellerinnen“ in die Welt zu setzen versucht. Aus Betroffenen, ihren Angehörigen und Freundinnen „Krisendarstellerinnen“ zu machen bedeutet, ihnen zu unterstellen, sie spielten Theater. Es bedeutet weniger, die Realität als solche in Zweifel zu ziehen, als die Macht zu demonstrieren, die man über die Realität hat, in der man jeden Fakt so mit Fiktion vermischen kann, dass sich nicht länger klar unterscheiden lässt, wo hört der Fakt auf und wo fängt die Fiktion an. Wenn sich dieses Spiel jenseits der Bühne wiederholt und von Vertreterinnen einer realen Macht aufgeführt wird, sollte es uns zutiefst alarmieren. Dann ist es eine „Subversion“ von oben: eine Mimikry der Mächtigen an die Unterdrückten. Es ist eine Art Karneval, aber nicht, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, sondern um sie zu festigen. Nirgends wird dieser Identitätsdiebstahl deutlicher sichtbar als im Feld des Antifaschismus: Wenn eine rassistische, brutal imperialistisch gesinnte Macht die Opfer ihres Angriffskrieges als „Faschisten“ beschimpft, ist das nicht nur eine Täter-Opfer- Umkehr, es ist etwas viel Schrecklicheres: Es ist ihre Art, sich der Welt als die „Faschisten“ zu präsentieren, die sie in Wahrheit sind. Es ist die Sprache des Totalitarismus und es ist Zeit, dass wir lernen, sie wieder zu verstehen – so wie man eine Fremdsprache wieder erlernen muss, die man vor langer Zeit einmal verstanden hat, aber sehr lange nicht mehr gehört hat. Wir müssen verstehen lernen, dass hinter jedem Vorwurf, den diese Neototalitären gegen ihre Gegnerinnen hervorbringen, eine Ankündigung steckt für das, was sie selbst vorhaben. Wenn eine mittlerweile längst nicht mehr nur in Teilen rechtsextreme Partei in Deutschland davon spricht, es fände ein Großer Austausch der Bevölkerung statt, dann meinen sie nicht, was sie sagen, sondern kündigen an, was sie vorhaben, nämlich einen großen Teil der Bevölkerung auf die eine oder andere Weise aus dem Land zu entfernen. Bis alles nur noch „Meinung unter Meinungen“ ist. Diese Meinungen führen direkt ins Märchenland, z.B. wenn Rechte heute aus der DDR ein „deutsches demokratisches Reich“ machen als alternatives Deutschland ohne 68, Migrantinnen, LGBTQi+ und Grüne. Der antifaschistische Schutzwall wird dafür gelobt, dass er niemand hereinlässt. Ein US-amerikanischer Präsident verkündet: „Walls work“. Es ist eine Art Sonnenfinsternis, denn wie die Kommunistinnen der 30er Jahre müssen wir Demokratinnen und Antifaschistinnen aufwachen und verstehen, dass sich über Nacht alte Verbündete und Freundinnen dem gemeinsamen Feind anverwandelt haben wie die Body Snatchers in den antikommunistischen SciFi-Filmen. Nicht nur „walls“ work, sondern auch das, was dieser 2 Wort Satz performativ vollzieht: die Verkehrung ins Gegenteil. Alles lässt sich drehen, jedes Wort wird zum Ding, das sich um die eigene Achse drehen lässt! Dann wird das Insistieren auf der Schwachstelle jeder Bedeutung und jeglicher Form von Identität, nämlich die permanente performative Wiederholung, zum Einfallstor für eine komplette Revision der anfänglichen Intention. Dann wird der Abbau von Identität auf einmal zum Aufbau einer neuen Identität, nämlich einer Identität, die behauptet, gar keine mehr zu sein. Und so sind wir alle HYPER, schießen beständig über das Ziel hinaus und uns damit selbst in den Rücken. Das ist der HYPERKONFUSIONISMUS und es gibt keinen Weg, ihm zu entkommen, als sich mit realen Menschen an einen realen Tisch zu setzen und über die Dinge zu streiten, die wir verschieden wahrnehmen. Nehmen wir das aus dem Verrat der USA an der Ukraine, Europa und sich selbst sehr ernst, was der Chefunterhändler den Europäern gesagt hat, als sie sich beschweren wollten, nicht mit am Tisch zu sitzen: „Es gibt gar keinen Tisch. Definieren Sie Tisch!“ Here it is: Ein Tisch ist das, was zwischen uns steht, was uns trennt, aber gerade dadurch verbindet. Damit ist es das Gegenteil von Geld, das verbindet, indem es trennt. Deswegen wird es von den Autokraten dieser Welt nicht verstanden. Sie haben das Geld, aber wir, wir haben den Tisch. Wir kriegen sie alle, denn das ist das Versprechen von diesem Tisch: dass eines Tages alle an diesen einem Tisch sitzen werden, weil wie jedes Kind weiß, alle an einen Tisch gehören! Und niemand verlässt diesen Tisch ohne dass man über ihn wird sagen können: Aber Du hast doch mit am Tisch gesessen! Mit anderen Worten: Niemand verlässt jemals wieder diesen Tisch!

Andcompany & Co. mit „Hyperdark“ im HAU3: Hymne auf den Tisch

Doris Meierhenrich, Berliner Zeitung, 28.02.2025

„Textstark waren die Performances der Andcompany immer, ‚Hyperdark‘ aber ist nun eine dunkel schimmernde, fast bewegungsfreie musikalische Lecture, die so geradlinig und konzentriert wie nie versucht, den disruptiven, wirr imperialistischen Gegenwartszügen eine ordnende, so verbindliche wie verbindende Erzählung vom Zusammenleben entgegenzuhalten. […] Wirklich stark aber wird der Abend, wenn alles stillsteht, Karschnia die Schutzbrille absetzt und die Geschichte vom Tisch erzählt. Tisch?  ‚Es gibt gar keinen Tisch. Definieren Sie Tisch!‘, soll der amerikanische Chefunterhändler kürzlich gesagt haben, als die Europäer monierten, dass sie bei den Ukraine-Verhandlungen nicht mit am Tisch sitzen. Karschnia erklärt: Ein Tisch ist das, was zwischen uns steht, was trennt, aber gerade dadurch verbindet. Damit ist er das Gegenteil von Geld, das verbindet, indem es trennt. Die Autokraten dieser Welt verstehen das nicht. Sie haben das Geld, aber wir, wir haben den Tisch, und den verlassen wir nicht.“

www.berliner-zeitung.de

Ökofuturistische Sause in der Floating University

Patrick Wildermann, Tagesspiegel, 24.05.2024

„Bogdanow, Musk und Bowie – nimmt das für smarte Verlinkungen bekannte Kollektiv andcompany&Co mit auf einen Performance-Trip, der aus ganz eigener Perspektive um Fragen planetarischer Bewohnbarkeiten kreist. (…) andcompany&Co bieten einen entspannten, manchmal auch etwas unterspannten Abend an, der Degrowth-Konzepte, retro-futuristische Synthesizer-Klänge, Überlegungen zu Bakterien und anderen smarten Lebensformen, Mars-Walk-Choreografien und mehr zu einem gut gelaunten Happening vereint, an dessen Ende eine bedenkenswerte Bogdanow-Erkenntnis steht: „Ein Planet vermag alles, sogar, intelligentes Leben auszulöschen.“

www.tagesspiegel.de

andcompany&Co. erträumt sich in „Mars on Earth“ eine bessere Zivilisation

Doris Meierhenrich, Berliner Zeitung, 25.05.2024

„Wer es noch nicht kennt, es ist eine Entdeckung wert: das wunderbar verwunschene wie funktionale Gelände des Regenwasserrückhaltebeckens neben dem Tempelhofer Feld. (…) nun auch Theaterbühne für die experimentierfreudigste unter Berlins Performancetruppen. (…) Seit je laden sich Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma künstlerische Kompagnons für ihre Stücke ein, mit denen sie die tollsten gesellschaftlichen Zukunftsszenarien auf die Beine stellen. Und immer gibt eine Verspieltheit und geistige Wachheit dabei den Ton an, die kein gutes oder schlechtes Spiel kennt, wohl aber richtige oder falsche Fragen. (…) Zwischen eiförmiger Raumkapsel, Luftkissen und uraltem Grammophon diskutieren, turnen und singen die neun Gedanken-Raumfahrer so angestachelt denn auch über andere Welten, die Bedingungen des Lebens überhaupt und wie wachsende Naturausbeutung diese nicht zerstören soll.“

www.berliner-zeitung.de

Starkes Stück an beeindruckendem Ort

Barbara Behrendt, rbb inforadio Kultur, 24.05.2024

„andcompany&Co. haben eine Mischung aus dokumentarischem Lehrstück und Science-Fiction-Komödie entworfen, ein Chorstück, angeleitet von der Volksbühnen-Chorexpertin Christine Groß (…) Wie leben ohne Wasser, ohne Sauerstoff? Das können uns die Künstler*innen und Aktivist*innen natürlich auch nicht beibringen. Dafür führen sie uns aber das Denksystem vor, dass uns marsähnliche Zustände beschert. Entweder Größenwahn oder Minderwert statt Verantwortung (…) Die Mischung aus Kunst und Naturereignis führt dann eben doch dazu, dass die Nachricht vom Aussterben des Menschen in die Eingeweide sickert.“

www.inforadio.de

„Starke Stücke“ feiert 30 Jahre

Eva-Maria Magel, faz.net, 16.2.2024

Kully ist ein Kind aus Frankfurt am Main. Ein Kind, das fliehen muss, weil der Vater Texte schreibt, die von den Nationalsozialisten gehasst werden. Deshalb ist Kully unentwegt auf Reisen, erst quer durch Europa, dann nach Amerika, das Geld ist knapp, der Vater ein Hallo­dri, dauernd fehlen Papiere. Was ist Asyl, was ist eine Grenze? Die Fragen von Kully, die Fragen anderer Kinder im selben Alter, etwa elf, hat das Performancekollektiv andcompany&Co. zusammen mit Kindern zu einer Performance entwickelt, die Irmgard Keuns Romantitel „Kind aller Länder“ aus dem Jahr 1938 umdreht. In eine Utopie? In jedem Fall in eine Performance, die von Flucht und Exil handelt und vorgebliche Gewissheiten der erwachsenen Ordnung infrage stellt.

www.faz.net

Aus dem Blickwinkel des Kindes: Im Berliner Theater HAU buchstabieren sich Flucht und Vertreibung als Jugendtheater aus.

Julia Hubernagel, taz, 10.12.2023

Sanna, Gilgi, Kully: Es sind zeitlose Namen, die Irmgard Keun ihren Protagonistinnen verlieh und die auch örtlich kaum zuzuordnen sind. Letzterer, Kully, ist der Name eines Mädchens, das nirgendwo zu Hause ist. In Keuns Roman „Kind aller Länder“ flieht sie mit ihren Eltern vor den Nazis durch Europa. Stets fehlt Geld, Visa laufen ab. Grenzen, die niemand sieht, aber jeder fürchtet, werden unpassierbar.

Das Theaterkollektiv and­com­pany&Co hat den Roman weitergedacht und auf die Bühne des Berliner HAU-Theaters gebracht. „Land aller Kinder“, ein „Erwachsenenstück für Kinder“, bringt Licht ins Dunkel der Bürokratiehölle, die das Thema Flucht und Migration abgrundartig umgibt. Was ist Asyl? Was sind Menschenrechte? Zufriedenstellende Antworten, das sieht man den Kinderdarstellerinnen (Rokia Karschnia und Zümra Köseoglu) an, liefern die Erwachsenen selten.

Zumindest die Bedeutsamkeit von Pässen kann der Zahnarzt und „Mini-Buchhändler“ Damon (Damon Taleghani) veranschaulichen. Denn was ist ein Pass anderes als ein Mini-Buch? Damon träumt von einer Welt, in der jeder seine Geschichte in ein Mini-Buch schreibt und so, legal und bestempelt, alle Grenzen übertreten darf.

Der Nationalsozialismus liegt lange zurück. Kindern die Wirren der Zeit verständlich zu machen, ist eine Herausforderung, mit der sich Pädagogen heute, 80 Jahre später, konfrontiert sehen. Nun ist Universalismus ein Werkzeug, mit dem eher zu oft als zu selten historische Besonderheiten aus dem Weg geräumt werden.

Verhöre mit der Ausländerbehörde

Es gibt allerdings eine Ausnahme, die Pauschalisierung gestattet: Aus der Perspektive eines Kindes ist Flucht immer total, egal ob es vor den Nazis, den Mullahs oder Assad-Schergen zu fliehen gilt. So verknüpft andcompany&Co Kullys mit heutigen Fluchterfahrungen, wie der von Luna (Luna Ali), die als Kind aus Syrien nach Deutschland floh – mit dem Flugzeug, wie sie in endlosen Verhören mit der Ausländerbehörde immer wieder erklären muss.

Fantasievoll spiegelt sich das Migrationschaos im Bühnenbild (Hila Flashkes) aus Büchern und Zähnen, die Damon mit einer übergroßen Zahnspange verkabelt. Irgendwann gerät alles durch- und ineinander: das belgische Ostende, Deutschland, Iran und überhaupt die Zeiten.

Das dürfte jedoch durchaus im Sinne Irmgard Keuns gewesen sein, ließ die doch nicht nur in ihren Texten, sondern auch in Bezug auf Lebensdaten, auf Namen und Fakten immer wieder der Fantasie freien Lauf.

taz.de

Auch ein Einhorn spielt mit - In Schwedt untersucht andcompany&Co feat. Arbeiterinnentheater die Industriegeschichte der Stadt.

Janina Reinsbach, Märkische Oderzeitung, 18.09.2021

Schwedt. Diese Inszenierung ist Schwedt auf den Leib geschneidert. Gleichzeitig bringt sie historische Themen auf den Plan, die weit über Schwedt und die DDR hinausweisen. Da ist das Petrolchemische Kraftwerk (PCK) mit allen technischen und politischen Visionen, seine Mitarbeitenden und ihre individuellen Geschichten. Da ist das Arbeitertheater, das Anfang der 1960er von Gerhardt Winterlich gegründet wurde und für das er 1968 das Erfolgs- Stück „Horizonte“ schrieb, das ein Jahr nach der Uraufführung in Schwedt seinen Weg an die Volksbühne Berlins fand, in Adaption Heiner Müllers. Und da sind erste Ideen zur Kybernetik, zukunftsweisend, ehe sie politischen Wetterwechseln zum Opfer fielen. Mit ihnen kommen Fragen nach der Automatisierung von Produktion durch Computer, Selbstoptimierung, Digitalität, Arbeitswelten und Effizienz. Fragen, die aktueller sind denn je. Die Bühne versetzt das Publikum in einen futuristisch-industriellen Trashtraum. Röhren ragen aus Boden und Wänden. Große, wabenhafte Kuben sind wie Raumkapseln aufgestellt. Eine Projektionsfläche, einige Klappstühle. Darsteller in silbernen, spacigen Anzügen. An den Bühnenrändern drei Stationen voller Schlagwerk, Pulte und Technik. Die elektronische Live-Musik ist sphärisch, dynamisch, viele Klänge und Effekte sind analog erzeugt, obwohl sie elektronisch anmuten. Das Berliner Theaterkollektiv andcompany&Co arbeitet vielschichtig unter Einbindung komplexer, wort-verspielter Texte in digitalen wie realen Bühnenwelten und ohne je die Verbindung zu verlieren. Das Ergebnis ist ein dichtes Netzwerk aus visuellen und Sound-und Text-Elementen, in dem Digitales und Analoges spielerisch kombiniert werden. Alles entwickelt einen unaufdringlichen, absurden Humor. Eine Komik aus Röhren-Dialogen, Adapter-Sozialismus, einem aufblasbaren Einhorn als wunderlichem Zitat aus der ersten Schwedter Inszenierung der „Horizonte“ oder einer ferngesteuerten Wanne, die über die Bühne saust. Dann wieder poetisch ruhige, spektakuläre Bilder aus der Vogelperspektive einer Drohnen- Kamera auf das weite Land und die Industriekulisse Schwedts. Die Mitglieder des historischen Arbeitertheaters geben der Inszenierung ihre besondere Würze. Ob sie nun digital als Video, Hologramm oder erfrischend real in Erscheinung treten, sind es doch ihr Zeugnis, ihr Ton und ihre individuellen Geschichten, die man als festen Boden im komplexen Ideengewebe unter den Füßen spürt. Beim Verlassen des Theaters brennt unübersehbar der Raffinerieturm. Wie eine riesige Fackel führt er die Dramaturgie der Inszenierung fort, sein Widerschein ist noch weithin am Horizont zu sehen.

 

Am 21.10.2020 ist unser Freund, Genosse, Arbeiterschauspielerkollege und in vielerlei Hinsicht Lehrer Edgar Walter gestorben. Mehr