BLACK BISMARCK previsited

http://blog.theater-nachtgedanken.de, 2012-10-20

(…) Als Ergänzung zur Installation „Exhibit B“ von Brett Bailey, empfahl es sich die Lese-Performance mit Musik der Gruppe andcompany&Co. im Cinema im oberen Foyer des Festspielhauses in der Schaperstraße zu besuchen. Die Avantgardeperformer, die sich beim Studium der Theaterwissenschaften in Frankfurt/M kennen gelernt haben, plündern hier wie immer den theater- und literaturwissenschaftlichen Fundus und bringen ihre Ergebnisse mit theatralisch-humorvollen Mitteln dem allseits interessierten Publikum nahe. Als besserwisserisch und staubtrocken kann man ihre Performances nicht gerade bezeichnen. Und so wird dann auch in dieser Produktion irgendwann Geistiges in flüssiger Form verabreicht. Ein Tablett mit Gläsern voll Fürst Bismarck Doppelkorn kreist im Publikum. Aufs Korn genommen haben die andco-Performer aber nicht nur den sogenannten „Weißen Revolutionär“ Bismarck, sondern auch das Erbe der deutschen Kolonialzeit, angefangen bei den Kolonialwarenläden über verrückte Afro-Perücken bis zu den obligaten Bismarcktürmen in deutschen Städten und Gemeinden. Die Kolonialbegeisterung in Deutschland kannte seinerzeit keine Grenzen. Der „dunkle Kontinent“ Afrika strahlte eine exotische Faszination auf die Deutschen aus, man konnte sogar in Afrikadörfern in der brandenburgischen Provinz Urlaub machen. Alte Postkarten zeugen bis heute davon.

Zu Beginn ist die Projektionswand hinter den vortragenden andco-Gründern Alexander Karschnia und Sascha Sulimma sowie ihrem belgischen Kollege Joachim Robbrecht noch weiß, wie das unbeschrieben Blatt, das Afrika für die europäischen Kolonialstaaten noch Ende des 19. Jahrhunderts war, bevor sie den Kontinent bei der „Kongo-Konferenz“ 1884-85 in Berlin unter sich aufteilten. Hier dockt die Veranstaltung nahtlos an Brett Baileys „Exhibit B“ an, dessen Bilder ja auch von der Unterdrückung der Nama und Hereros berichten. Wie weit Deutschland aber bis heute diese Zeit verdrängt hat, zeigen die Performer anhand des Suchens nach einem passenden Datum für den Tag der Deutschen Einheit. Das konnte natürlich nicht der 09. November (Reichskristallnacht) sein. Aber auch der 3. Oktober ist belastet als Beginn des Nama-Aufstands in Deutsch-Südwestafrika, oder dem Tag des ersten Starts einer V2 Rakete 1942. Andcompany&Co ziehen so gekonnt einen Bogen von der deutschen Kolonialgeschichte mit Bismarck an der Spitze über den 2. Weltkrieg bis zur deutschen Einheit unter Helmut Kohl. Das Bewusstsein für diese Zusammenhänge und den Kolonialismus überhaupt ist in Deutschland aber immer noch sehr gering. Den Missing Link zur postkolonialen Gegenwart haben andco nun im Begriff der „Critical Whiteness“ ausgemacht, die schon länger wie ein „Gespenst“ in Europa umgeht. Wir „überprivilegierten Unterpigmentierten“ empfinden unser Weissein eben immer noch als unmarkierte Normalität. Darauf aufbauend hauen andco uns alle möglichen schwarz-weiß-Begrifflichkeiten um die Ohren. Dazu werden jede Menge Afrika-Klischees und Voodoozauber mit Phantasiehelmen vorgeführt, eine an Belgisch-Kongo erinnernde Europaflagge gehisst und die passenden Schlagermelodien vom Band a la „Afrika“ von Ingrid Peters gespielt.

Besonders aber in der Literatur spielt „Weiß“ als Symbol eine große Rolle. So zündet der Held in Thomas Pynchons Gravity’s Rainbow (1973, dt. Die Enden der Parabel) Weissmann eine V2-Rakete oder im Film „Ghostbusters“ läuft das riesige Marshmallow-Männchen Stay Puft als „Kolonialer Albtraum“ aus Zucker und Gummi durch New York. Vor allem schöpfen und zitieren die Performer aber auch aus dem bemerkenswerten Essayband „Playing in the Dark. Whiteness and Literary Imagination“ (1992, auf deutsch „Im Dunkeln Spielen“, 1994 bei Rowohlt) der schwarzen amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Tony Morrison, deren Theaterstück „Desdemona“ Peter Sellars im November 2011 bei der spielzeit’europa in Berlin aufführte. Anhand bekannter Romane von Edgar Allan Poe, Herman Melville, Nathaniel Hawthorne (alles Vertreter der „amerikanischen dunklen Romantik“) oder auch Mark Twain und Ernest Hemingway untersuchte sie die weiße amerikanische Literatur auf ihren romantisierenden „Afrikanismus“ und die benutzte Symbolik. Besonders Melvilles „Moby Dick“ (Der weiße Wal) und Poes „The Narrative of Arthur Gordon Pym“ (Der Bericht des Arthur Gordon Pym) beziehen ihre faszinierenden Imaginationen aus der Beschreibung des Unterschieds von weiß und schwarz, hell und dunkel. So fährt Pym mit seinem Kameraden Peters und dem gefangenen schwarzen Eingeborenen Nu-Nu am Ende des Romans auf einem Kanu über einen milchigen Ozean in eine weiße Wand, hinter der eine Gestalt eines Mannes, mit einer Hautfarbe von makellosem Weiß wie Schnee, vor ihnen auftaucht.

Die Black-Bismarck-previsited-Vorstellung von andcompany&Co will auf eine ganz andere Art als Brett Baileys „Exhibit B“ aufklären. Sie vermittelt nicht nur Wissen, sondern verarbeitet dieses auch in der Performance. Das ist sicherlich künstlerisch noch nicht im Detail ausgereift. Die Macher arbeiten ja noch daran. Aber das Ganze kann theatral und politisch auch als ein interessanter Beitrag zur momentanen Blackface-Debatte gesehen werden, weil hier der Brückenschlag aus der Geschichte ins postkoloniale Heute nachvollziehbar gelingt, auch ohne krasse Schockbilder. Das Publikum fühlt sich hier mitgenommen und nicht abgeschreckt, was leider auch noch oft genug, wie im Fall Baileys durch die wenig differenzierten und damit nicht besonders hilfreichen Anfeindungen der Bühnenwatch-Aktivisten verstärkt wird. Die fertige Produktion von „Black Bismarck” soll 2013 im HAU gezeigt werden.

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